Lambert Heller beschäftigt sich seit Jahren mit innovativen Formen der wissenschaftlichen Kommunikation. Seit Beginn dieses Jahres leitet er das neu gegründete Open Science Lab der TIB/UB Hannover.
Lambert Heller, was versteht man unter „Open Science“?
Vielleicht kann man das in Abgrenzung zu „Open Access“ erklären. Bei OA geht es ja darum, dass mit dem Internet wissenschaftliche Publikationen für alle frei zugänglich gemacht werden. Wenn man mal sieht, wie junge Wissenschaftler heute selbstverständlich in und mit dem Web arbeiten, z.B. mit Blogs und Wikis, könnte man sich fragen: Warum erst das fertige Ergebnis offen zugänglich machen? Denn darum geht es ja, wenn wir von Publikationen sprechen: Fertig beschriebene Forschungsergebnisse, z.B. als Artikel für Online-Journals. Open Science ist für mich ein Sammelbegriff für Forschung, die besser und schneller wird, indem sie die Möglichkeiten des Webs intensiv nutzt, und über immer weitere Strecken „in aller Öffentlichkeit“ stattfindet. Also auch die Zwischenstufen, wie das Beschreiben einer neuen Beobachtung in kurzen, vielleicht noch unvollständigen Blogpostings, Bearbeitungsschritte in einem Wiki, etc.
Das heißt, das Labor wird der Öffentlichkeit zugänglich? Wie profitieren die Forschenden davon?
„Das Labor wird zugänglich“ ist eine tolle Beschreibung, ja. Traditionelle Publikationen waren bestenfalls wie Glasvitrinen: Man konnte nur angucken, nicht anfassen. Heute ist vom „Executable Paper“ die Rede, das heißt Forschungsergebnissen, die mitsamt verknüpften Rohdaten, Open Source-Software zur Verarbeitung dieser Daten etc. kommen. Es ist, als stünde man im Labor des Forschers, an seiner Werkbank, und kann die Verarbeitung der Daten reproduzieren. Und das heißt eben auch Ergebnisse zu falsifizieren, oder aber zu variieren und so vielleicht die gewonnenen Erkentnisse zu erweitern.
Die Metapher „Labor“ hat nur den Nachteil, dass sie zu einseitig nach Naturwissenschaft klingt. Diese Entwicklung betrifft jedoch alle Disziplinen. Wenn ich z.B. eine literaturwissenschaftliche Untersuchung vor mir habe und ich die darin diskutierten Werke nicht nur lesen, sondern im digitalen Volltext durchsuchen kann, mit geeigneter Software den Wortschatz des Autors selbst unter die Lupe nehmen kann, dann verändert das meinen Zugang zu jener literaturwissenschaftlichen Untersuchung von Grund auf.
Was ist dabei konkret die Aufgabe des Open Science Labs?
Wir tauchen ein in die neuen digitalen Kommunikations- und Arbeitsweisen von Wissenschaftlern, und nehmen uns Probleme vor, deren Lösung uns interessant und machbar erscheint. Konkreter: Momentan haben wir in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern eine sehr produktive „Facebookisierung“: Statt der traditionellen Orientierung an den Inhaltsverzeichnissen der Journals werden interessante neue Papers immer häufiger dadurch entdeckt, dass ForscherInnen sich wechselseitig auf sie hinweisen, vgl. SciRate (für Teilchenphysik-Papers bei arXiv), Mendeley oder PLoS Article Level Metrics.
Wie können Wissenschaftseinrichtungen oder z.B. Verlage ihren Forschern Profilseiten mit solchen Empfehlungs- und Entdeckungsfunktionen anbieten, die interoperabel sind, und sich von anderen ohne Restriktionen auswerten und nachnutzen lassen? Einige spannende Ansätze in diesem Bereich, z.B. VIVO, kennen wir bereits – wir wollen nun dabei helfen, sie auch in Europa bekannt und anwendungsreif zu machen.
Weitere Informationen zu Open Science:
- Open Science in der englischsprachigen Wikipedia
- „Wer Angst hat, dass ihm Ideen geklaut werden, der hat nicht genug“ – Interview mit Christian Spannagel auf Zeit Online vom 03. Mai 2012.
- „Cyberscience 2.0 – Wie Twitter, Facebook und Wikis die Wissenschaft verändern“ – Michael Nentwich und Lambert Heller am 29. Januar 2013 im Literarischen Salon der LUH.
Pingback: Gelesen in Biblioblogs (3.KW’12) « Lesewolke